Archive for the ‘Gedichte’ Category

Das Tannenbäumchen

Dienstag, Dezember 17th, 2024

Zum 17. Kalendertürchen

Das Tannenbäumchen
Jakob Loewenberg (1856-1929)

Im Wald, unter hohen Buchen versteckt,
hat sich ein Tannenbäumchen gereckt.
“Ich steh so ganz im Dunkel hier,
keine Sonne, kein Sternlein kommt zu mir,
hört nur die anderen davon sagen,
ich darf mich nicht vom Platze wagen.
Ach, ist das eine traurige Geschicht’,
und ständ so gern auch mal im Licht!”

Hoch durch den weiten Weltenraum
verloren flog ein goldner Traum,
flog hin und her im Lichtgefieder
und dacht: Wo lass ich heut mich nieder?
Ist wo ein Hüttchen dunkel und arm?
Hat wo ein Seelchen Kummer und Harm,
dem ich auf meinen leuchtenden Schwingen
könnt heute eine Freude bringen? –

Das Bäumchen steht in Licht und Schein.
Wie mag das wohl gekommen sein?

Bäumchen

Der Schnupfen (Gedicht)

Montag, Dezember 16th, 2024

Zum 16. Kalendertürchen

Der Schnupfen

Ein Schnupfen hockt auf der Terrasse,
auf dass er sich ein Opfer fasse
– und stürzt alsbald mit großem Grimm
auf einen Menschen namens Schrimm.
Paul Schrimm erwidert prompt: „Pitschü!“
und hat ihn drauf bis Montag früh.

Christian Morgenstern (1871-1914)

Schnupfenzeit

Bild von silviarita auf Pixabay

Sonntag, Dezember 15th, 2024

Zum 15. Kalendertürchen

Christkindchen

Wo die Zweige am dichtesten hangen,
die Wege am tiefsten verschneit,
da ist um die Dämmerzeit
im Walde das Christkind gegangen.

Es mußte sich wacker plagen,
denn einen riesigen Sack
hat’s meilenweit huckepack
auf den schmächtigen Schultern getragen.

Zwei spielende Häschen saßen
geduckt am schneeigen Rain.
Die traf solch blendender Schein,
daß sie das Spielen vergaßen.

Doch das Eichhorn hob schnuppernd die Ohren
und suchte die halbe Nacht,
ob das Christkind von all seiner Pracht
nicht ein einziges Nüßchen verloren hat.

Anna Ritter (1865-1921)

Christkindchen

Christkindchen 😉


Wintermorgen

Samstag, Dezember 14th, 2024

Zum 14. Kalendertürchen

Erst gestern war es, denkst du daran?
Es ging der Tag zur Neige.
Ein böser Schneesturm da begann
und brach die dürren Zweige.
Der Sturmwind blies die Sterne weg,
die Lichter, die wir lieben.
Vom Monde gar war nur ein Fleck,
ein gelber Schein geblieben.
Und jetzt? So schau doch nur hinaus:
Die Welt ertrinkt in Wonne.
Ein weißer Teppich liegt jetzt aus.
Es strahlt und lacht die Sonne.
Wohin du siehst: Ganz puderweiß
geschmückt sind alle Felder.
Der Bach rauscht lustig unterm Eis,
nur finster stehn die Wälder.

Alexander Puschkin (1799 – 1837)

Wintermorgen

Wintermorgen

Die weiße Weihnachtsrose

Freitag, Dezember 13th, 2024

Wenn über Wege tief beschneit
Der Schlitten lustig rennt,
Im Spätjahr in der Dämmerzeit,
Die Wochen im Advent,
Wenn aus dem Schnee das junge Reh
Sich Kräuter sucht und Moose,
Blüht unverdorrt im Frost noch fort
Die weiße Weihnachtsrose.

Kein Blümchen sonst auf weiter Flur;
In ihrem Dornenkleid
Nur sie, die niedre Distel nur
Trotzt allem Winterleid;
Das macht, sie will erwarten still,
Bis sich die Sonne wendet,
Damit sie weiß, daß Schnee und Eis
Auch diesmal wieder endet.

Doch ist’s geschehn, nimmt fühlbar kaum
Der Nächte Dunkel ab,
Dann sinkt mit einem Hoffnungstraum
Auch sie zurück ins Grab.
Nun schläft sie gern, sie hat von fern
Des Frühlings Gruß vernommen,
Und o wie bald wird glanzumwallt
Er sie zu wecken kommen!

Herrmann von Lingg (1820 – 1905)

Christrose

Christrose


An den Winter

Montag, Dezember 9th, 2024

Zum 09. Kalendertürchen

Willkommen, lieber Winter,
Willkommen hier zu Land!
Wie reich du bist, mit Perlen
Spielst du, als wär’ es Sand!

Den Hof, des Gartens Wege
Hast du damit bestreut;
Sie an der Bäume Zweige
Zu Tausenden gereiht.

Dein Odem, lieber Winter,
Ist kälter, doch gesund;
Den Sturm nur halt’ im Zaume,
Sonst macht er es zu bunt!

Elisabeth Kulmann (1808-1825)

Wintergarten, Bild KI-generiert (Lexica.art)

Wintergarten, Bild KI-generiert (Lexica.art)

Im Schnee, Keller

Sonntag, Dezember 8th, 2024

Zum 08. Kalendertürchen

Wie naht das finster türmende
Gewölk so schwarz und schwer!
Wie jagt der Wind, der stürmende,
Das Schneegestöber her!

Verschwunden ist die blühende
Und grüne Weltgestalt;
Es eilt der Fuß, der fliehende,
Im Schneefeld naß und kalt.

Wohl dem, der nun zufrieden ist
Und innerlich sich kennt!
Dem warm ein Herz beschieden ist,
Das heimlich loht und brennt!

Wo, traulich sich dran schmiegend, es
Die wache Seele schürt,
Ein perlend, nie versiegendes

Gottfried Keller (1819-1890)

Allein in der Kälte_1024

Allein in der Kälte im Januar 2009 bei -8 Grad

Schnee fällt

Samstag, Dezember 7th, 2024

Zum 07. Kalendertürchen

Schnee fällt.
Es fällt ein winzig weißer Flaum.
Es fällt der Schnee auf einen kahlen Baum.

Es fällt der Schnee,
es fällt der Schnee jetzt dicht.
Er liegt am Boden, weißes weiches Licht.

Auf allen Häusern liegt der Schnee,
der Schnee.
Der Schnee tut keinem weh.

Es fällt ein Schnee bis tief ins Herz hinein.
Schnee fällt.
O könnte ich ein Schneemann sein.

Schnee fällt.
Ich geh im Schnee, und hinter mir
Verwischt der Schnee die Spur.
Ich geh von dir.

Schneewände hat der Schnee rings aufgebaut.
Der Hunger schreit im Schnee nicht mehr so laut …
Schnee fällt.

Johannes R. Becher (1891 – 1958 )

White World

White World - Foto: Michael Berghaus, Ipernity